Hautnahes Theatererlebnis:
„Tod eines Einzelhändlers“ entlässt Zuschauer mit Rosen und einem Hoffnungsschimmer
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fließen zusammen an diesem Abend, der Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ auf die Situation des Einzelhandels überträgt. Jürgen Larys ist der älter gewordene Einzelhändler Willie, der nicht mehr in der Lage ist, seinen Lebensstandard zu halten und seinen Lebensunterhalt zu verdienen. „Die Miete, die Vorauszahlungen, die aufgelaufenen Rechnungen.“ Die Zeit ist über ihn hinweggerollt, er verfällt in Depressionen, blickt verklärt zurück und macht sich dann wieder trügerische Hoffnungen: „Nicht stehen bleiben, weiter.“
Susanne Hocke ist Willies Ehefrau Linda. Sie ist die ordnende Kraft in seinem Leben: Mitfühlend, aufbauend, mal träumerisch, dann wieder gnadenlos realistisch, auch bei der Vergangenheitsbetrachtung: „Vor 70 Jahren war das hier ein Dreckloch. Der Fluss stank. Konntest du ‘nen Farbfilm drin entwickeln.“
Nach der Pause zeigen die Akteure, wieviel der digitalen Zukunft bereits in der Gegenwart steckt. Schon können wir von uns Avatare kreieren lassen, die an unserer Stelle Kleidung anprobieren im „Metaverse“, das als fiktives Universum der Realität Konkurrenz macht. Brauchen wir dann noch Kommunikation und Beratung im Einzelhandel?
Im Gegensatz zum tragischen Ausgang für den Handlungsreisenden bei Miller lässt Larys noch einen Hoffnungsschimmer. Als Zeichen der Hoffnung verteilt Willie echte Rosen an das Publikum, und Linda formuliert ihre Zukunftsvisionen bezüglich der menschlichen Fähigkeit, Krisen zu bewältigen: „Wir sind resilient als ganze Gesellschaft. Das ist mein Bild, und das ist sehr gesund.“ Bleibt zu hoffen, dass die Menschen diese Fähigkeit auch nutzen.
Sehr beeindruckt von der Darbietung und den inhaltlichen Botschaften war Zuschauerin Gudrun Schwiede: „Susanne Hocke und Jürgen Larys haben einen kritischen Blick auf unsere Gegenwart und Zukunft geworfen. Sehr gut und minimalistisch dargestellt, und gerade deshalb sehr eindrucksvoll.“
(Diethelm Textoris, Ruhr Nachrichten Lünen, 15. August 2022)
Wenn Profitgier alles Lebenswerte vernichtet
„Tod eines Einzelhändlers“ macht das Knittlinger Publikum nachdenklich
Lebenswertes zugunsten unermesslicher Profitgier zu opfern, das ist noch immer den Antrieb von Volkswirtschaften. Ohne Rücksicht auf die seit Jahrzehnten bekannten Folgen für Mensch und Umwelt. Diese unverantwortliche Misere führte nun Schauspieler Jürgen Larys in seiner gesten- und mimikreichen Darstellungskunst den Zuschauern transparent vor Augen. Nur das tragische Ende von Arthur Miller’s „Handlungsreisenden“, dessen Thema Larys in die Gegenwart transferiert hat, nämlich dessen Selbstmord, blieb dem deutschen „Einzelhändler“ erspart. Neu zu werten hatte Larys dagegen die aufkommende Digitalisierung, deren Nutzen und Folgen strittig sind.
„Wie willst du da mithalten?“ umriss Willie das Problem der Gegenwart mit wenigen Worten. Mit seinem traditionsreichen Laden kann er nicht gegen den Online-Handel bestehen, der funktionierende Strukturen zerstöre und kommerzielles Leben in Städten töte.
Susanne Hocke als Ehefrau Linda trägt seine Sorgen mit, kann aber auch scharf seine verklärenden Erinnerungen an vermeintlich bessere Zeiten korrigieren.
Ein erster Blick durch eine VR-Brille stimmt Willie zunächst froh, scheint sich doch damit vieles zum Besseren wenden. Aber dann kommen ihm tiefe Zweifel. „Draußen geht die Welt vor die Hunde, aber hinter dieser Brille ist alles schön.“ Linda äußert ihre Ideen, wie dicht bebaute Innenstädte in grüne Oasen umgewandelt werden können. „Das ist mein Bild, und das ist sehr gesund.“
Auffallend häufiges Kopfnicken der mit angespannten Gesichtern lauschenden Zuhörer begleiteten Lindas und Willies realitätsnahe Ausführung und Vorstellungen einer Welt von morgen. Sind die beiden zwei weitere Protagonisten für eine lebenswerte Zukunft?
Das Publikum stimmte ihnen voll zu und dankte mit großem Beifall für die schauspielerisch großartigen Leistungen. Noch rund eine Stunde lang wurde anschließend miteinander diskutiert.
(Eva Filitz, Badische Neueste Nachrichten, 25. September 2023)
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